Hans Näf  Leben und Wirken

 

 

 

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Gedanken zur Meditation am 16.5.2015

 

 

Vorgestern Nachmittag fuhr ich zur Tagungsstätte Felsentor bei Romiti oberhalb von Vitznau am Südhang der Rigi. Wegen der Verspätung des Zuges musste ich meinen schweren Rucksack 15 Minuten lang selber buckeln. Ich hatte mir das eigentlich nicht zugetraut und erlebte als freudige Überraschung, dass ich das ohne Probleme schaffte. „Eigentlich bin ich körperlich nicht so schwach, wie ich befürchtet hatte“. Dieser Gedanke machte mich froh und innerlich sicher, sodass das eilige Anfangen mich nicht nervös machte.

 

Den Leiter kannte ich schon und Isis wirkte Vertrauen erweckend, mein Hörgerät hatte ich montiert, ausnahmsweise nicht vergessen, sodass ich gut verstehen und zuhören konnte. Bei der Gehmeditation bemerkte ich ein Abflauen der guten Stimmung, als ich all die fremden Gestalten mit mönchischer Haltung, ganz andächtig, im Zeitlupen Tempo durch den herrlichen Garten wandeln sah. Dadurch bekam ich ein Problem: „ Muss ich das jetzt auch machen und darf  nicht schnellen Schrittes die herrliche Umgebung mit der fantastischen Aussicht geniessen, wo noch dazu ein grossartiger Sonnenuntergang stattfindet? Eigentlich müsste ich jetzt doch vor allem in mich hineinspähen, um mir der Gefühle, der Gedanken und der Körperreaktion, die da stattfinden, bewusst zu werden?“

 

Mit schlechtem Gewissen achtete ich nicht richtig auf das Gehen, sondern genoss das Gefühl der irren Freude, die mich ganz zapplig machte und zur Bewegung antrieb, die ich aber zügelte, da ich die andern doch nicht stören durfte, und auffallen wollte ich ja auch nicht. All das wurde mir aber erst im Bett bewusst und mir schien, ich hätte wie so oft im Leben nur eine halbbatzige Lösung gefunden, wegen den andern, wegen den „Vorschriften“ und wegen meiner Angepasstheit, weil ich den Mut nicht hatte, anders zu sein. Dieses bewusst Werden beunruhigte mich aber wenig, denn ich war müde und schlief bald ein.

 

Erst jetzt beim Schreiben kommen mir zwei Gedanken. Auf diese Weise haben wir im Militär die blödsinnigsten Sachen, wie Schuhnägel glänzen, durch den Dreck kriechen, auch wenn daneben sauberes Gras war, widerstandslos ausgeführt,  weil die Kameraden es auch taten und erst nachher, als der Vorgesetzte weg war, gemeinsam geflucht. Sich in der Sangha anpassen lernen, oder lernen sich selber zu sein, wenn man sich nicht einig fühlt mit der Mehrheit, wozu kann das eine, wozu das andere gut sein?

 

Irgendwie wusste ich, dass ich heute echt versuchen möchte, mich bei der Gehmeditation  intensiv nach innen zu wenden mit meiner Wahrnehmung. Dazu nahm ich mir Zeit und ging im Rhythmus des Atmens, ein Schritt ein, ein Schritt aus. Das brachte mir innere Ruhe, auch bei den Vorträgen und den Sitzmeditationen, hatte ich den Eindruck, ich könne mich gut der Wahrnehmung der Gedanken, der Gefühle und des Körpers zuwenden. Nach dem Mittagessen wischte ich die Tische sauber, ruhig und sogfältig, fühlte mich leicht und in mir. Am Nachmittag bemerkte ich leise Traurigkeit in den Augen. Dazu kamen Gedanken an die Trennung von Mimi, dann auch Fragen und wie ist es mit Ilse und jetzt hier. Hier ist jeder und jede ganz für sich. Mit niemand der geringste menschliche Kontakt, nur ein gemeinsames Anliegen. Beim Nachtessen erlebte ich zunehmend Traurigkeit, nur bei Pierino kleine Augenkontakte, bei denen ich sofort Freude spürte.

 

Abends im Bett war ich unruhig und traurig, setzte mich auf den Balkon und betrachtete die herrliche, mir sehr vertraute Gegend, wollte dann schlafen, die traurigen und guten  Gedanken ausklingen lassen, mich dem Atem zuwenden. Das gelang immer weniger und es wurden immer mehr und stärkere Stimmen in mir laut, die mir Ratschläge gaben, wie ich einschlafen könne, andere argumentierten irgendwie dagegen. Es herrschte ein grosses Chaos, in dem ich immer wieder versuchte auf den Atem zu achten und nicht zu denken. Aber ich war einem innern Chaos ausgeliefert, das mir immer mehr Angst machte. Es akzeptieren wollen, gelang gar nicht, da kam Wut auf gegen mich und es geschehe mir recht,ich wisse ja, dass ich auf mitmenschliche Kontakte angewiesen sei und ich depressiv werde ohne und jetzt begebe ich mich freiwillig in diese krank machende Situation. Dazu kam noch der Gedanke: du bist ja völlig blöd, hast nicht mehr lange zu leben und du quälst dich freiwillig. Hör doch auf mit diesem Unsinn, geh heim und mach das was Isis in ihrer Lehrrede zum Schluss gesagt hat: sei liebevoll zu den Mitmenschen, schenk ihnen Aufmerksamkeit, wir alle brauchen diese. Das war der erlösende Gedanke und die Schlussfolgerung fiel mir plötzlich ein: morgen sofort heim gehen, unter Menschen sein, mit denen du austauschen kannst, die zurückschauen, wenn ich sie anschaue.

 

Später kam eine gewisse Angst , Rainer und Isis könnten es als Kritik  an ihren Personen oder ihrer Kompetenz auffassen. Als ich dem nachging, realisierte ich, dass es ganz eindeutig nicht etwas gegen sie sondern für mich ist. Dann lag ich noch bis 3Uhr ganz wach, erleichtert und wie erlöst im Bett. Dabei kam mir ein Gedanke, bei dem ich laut lachen musste: so friedlich möchte ich sterben können, aber vorher es noch ein wenig gut haben mit Menschen.

 

Bei Rainer erlebte ich, dass er mich ohne weiteres ziehen liess, als ich ihm die ganze innere Geschichte erzählte. Das hatte ich eigentlich erwartet. In der Wohnung zu Hause angekommen, fühlte ich mich ganz glücklich und froh, lachte laut, sang ein wenig, griff zum Telefon und gratulierte zwei Menschen zum Geburtstag. Diese freuten sich ausgesprochen, dass ich an sie gedacht hätte.

 

Menschen um sich zu haben, die liebevoll mit einem umgehen, sich für einen interessieren, sich um einen bekümmern,  ist mindestens ebenso wichtig, wie mit sich selber liebevoll umgehen zu können und meditierend  die Realitäten des Lebens zu erkennen und gelassen hinnehmen zu können. Liebe bekommen und Liebe geben, sich und andern, sind gute Voraussetzungen für ein gutes Leben, aber keine Garantien.