Hans Näf  Leben und Wirken

 

 

 

 

   Zum Schreibprozess

 

   Die ersten 7 Jahre

   in der "Heimat" in

   Wolhusen

 

   In der Klosterschule

   Engelberg

   1. bis 8. Klasse

 

   Kriens Alpenstrasse

   ab Ostern 1931

 

   1948 - 52 Studium

   an der Universität

   Basel und die

   grosse Liebe

 

   1946/47 zwei

   Semester in Paris

 

   Militär

 

   1945/46

   Familienleben

 

   1945/46 Studium

   an der Universität

   Zürich

 

   Die Zeit nach 1959

 

   Schulpsychologe in

   Basel 1959 - 73

 

  Meine eigene

  Familie in Meggen

 

   Meine Zeit als

   Sekundarlehrer

 

   Bergsteigen und

   Skifahren

 

   Erlebte

   Schulgeschichte

Bergsteigen und Skifahren

 

Der Vater als Pionier

 

Kurz vor dem ersten Weltkrieg hatten mein Vater und zwei Kollegen aus Oslo Skier kommen lassen. In der Schweiz hatten sie keine auftreiben können. Skifahrer gab es noch kaum, die wenigen galten als Spinner. Im Bergdorf Oberrickenbach wurden ihnen Steine nachgeworfen, als sie am Sonntag nach der Messe mit diesen verdächtigen Hölzern auf dem Rücken dem Brisen entgegen wanderten. Was wollten diese Fremden aus der Stadt damit und mit dem langen Stock? Verdächtig, sehr eigenartig!  Am Ende des Trampelpfades banden sich die drei Skipioniere, Postbeamte aus Luzern, die Dinger unter die Schuhe und versuchten weiter aufwärts zu steigen. Das sei aber äusserst anstrengend gewesen, erzählte mir mein Vater, weil die Skier immer zurückrutschten und der lange Stock, mit dem sie hätten stossen wollen, dauernd im tiefen Schnee versank. Es war unmöglich, so auf den Brisen zu kommen, bis einer auf die geniale Idee kam, an seine Skier zu brunzen, sodass Schnee an der Lauffläche kleben blieb und bequemes, auch steileres Steigen ermöglichte. Bald aber klebte so viel Schnee daran, dass die Latten zu Klötzen wurden. Wieder wusste einer Rat: Messer heraus und abkratzen! Jetzt ging es leichter, bis es wieder so schwer war, dass ein weiterer Kratzhalt notwendig wurde. In diesem Rhythmus kamen die drei Pioniere  natürlich nicht  auf den Gipfel. Sie seien aber stolz und fröhlich gewesen, hätten einen Esshalt gemacht, etwas „Brönz“ (Gebranntes) getrunken und sich dann an die Abfahrt gewagt. Vorher hätten sie die Laufflächen mit den Sackmessern vom eisigen Schnee befreit, dann sei der Erste in der Falllinie losgefahren, bis er umfiel. Der Nächste hätte es auch gewagt, bis auch ihn das gleiche Schicksal erreichte. Aus der Abfahrt wurde ein Wettkampf, wer länger stehen bleiben könne. Am Anfang ihres Skisportes stand also die Schussfahrt, Stemmbogen und Seehundsfelle lernten sie später kennen.

 

Skifahren im Winter und Bergwandern im Sommer waren Vaters Sportarten und blieben es auch, als er mit 36 Jahren heiratete. Natürlich gab es damals keine Bergbahnen, keine Pisten, nur Neuschnee, keine Skilehrer, keine Abfahrtsrouten. Neben dem intensiven und sehr reglementierten Arbeitsleben als Postbeamter genoss er die Abenteuer in den Bergen bei jeder Gelegenheit. Nach der Familiengründung gab er beides nicht auf und versuchte seine Frau und - so bald wie möglich - auch mich mit einzubeziehen.

 

 

Auf Vaters Spuren

 

Ich ging noch nicht zur Schule, als der Vater mich zum Skifahren in den Hügeln um Wolhusen mitnahm. Dann sollte auch meine Mutter mitkommen. Dieses Unternehmen wurde aber vom kleinen Hansi torpediert, da er, wie mir erzählt wurde, immer wieder hysterisch brüllte: „Ech well keis Mami met Hose“, und zwar schon zu Hause, dann auf der Strasse und am Hügel. Bald gab die Mutter auf, denn sie hatte sich nur auf Wunsch ihres Mannes in diesem unfraulichen Tun versucht. Als ich etwa 10 Jahre alt war, gab auch der Vater das Skifahren auf, angeblich wegen den vielen Verletzungen, sicher aber auch, weil ich zu wenig Geduld hatte mit ihm und ihn von unten her mit Rufen wie „Chom doch ändlich, es esch ned schwär, muesch kei Angscht ha!“ anfeuerte. Ähnliche Ermutigungsrufe kann man auch heute auf Pisten noch hie und da hören. Wie ich vor Jahren keine Ahnung hatte, dass ich meinem Vater durch mein Zurufen keine Hilfe war, sondern ihn im Gegenteil damit belastete und entmutigte, so werden in ähnlicher Weise  auch heute noch viele, in irgend einem Bereich Schwächere von den Bessern „angespornt“.

 

Ich war schon ein leidlich guter Skifahrer, als ich in die Klosterschule nach Engelberg kam und deswegen in diesem Sport den meisten Kameraden überlegen war. So wurde Skifahren für mich ein Prestigegewinn. Ich trainierte so oft wie möglich, wurde einer der Besten und von den Kameraden bewundert. Dadurch gewann ich Selbstvertrauen. Mit Skifahren kompensierte ich meine schwachen Schulleistungen. Zwar wurde ich im Gymnasium allmählich ein mittelmässiger Schüler, blieb in allem Schulischen aber jahrelang unsicher. Auch heute noch habe ich beim Skifahren nie Bedenken, ob ich einer Schwierigkeit gewachsen sei. Ohne Zögern und nicht durch Hemmungen und Ängste verkrampft, kann ich mein ganzes Können einsetzen. Als Gymnasiast war ich etwa zwei Jahre lang ein Schüler am Schwanz der Klasse gewesen und konnte kein solides Selbstvertrauen aufbauen. Obwohl ich im Maturazeugnis in allen Fächern eine gute Note hatte, war ich an der Uni ein ängstlicher Student, getraute mich nur ganz selten in Seminaren mitzureden, ging aber ohne Hemmungen zum Unisport und machte ohne ängstliches Zweifeln auch bei Wettkämpfen mit. Als ich später als Schulpsychologe viel mit schwachen Schülern zu tun hatte, kamen mir die Erfahrungen am eigenen Leibe sehr zu Hilfe. Ich konnte mich in die lähmenden Selbstzweifel von Problemschülern gut einfühlen, dadurch das Vertrauen meiner „Patienten“ gewinnen und für sie oft hilfreich sein.

 

So weit ich mich erinnern kann, wurde in meiner Familie auch viel gewandert. Die Wanderungen meines Vaters mit seiner jungen Frau fielen im Dorf auf. „Du läufst sie noch zu Tode“, soll der Schwiegervater einmal gesagt haben. Die Mutter erzählte noch in hohem Alter voller Stolz von einer Tageswanderung von Entlebuch über den ganzen Pilatusgrat zum Kulm und nach Luzern hinunter: „Ich hatte solche Freude, dass ich am Abend noch tanzen gehen wollte, aber der Vater war zu müde.“

 

Als wir in Kriens wohnten, gingen wir am Sonntag regelmässig spazieren oder wandern. Spazieren war langweilig, weil wir dabei im Quartier „rumtschumpeln“ und Sonntagskleider tragen mussten. Beim Wandern gings in die Natur, das Tenü war freier, alles abenteuerlicher. Die Ferien verbrachte die Familie meist in den Bergen, und es wurde täglich stundenlang gewandert. Dabei war Marta hie und da überfordert. Ich konnte nicht genug bekommen, drängte auf Gipfel, weg von den Pfaden, hatte auch keine Höhenangst.

 

An den Vakanztagen im Kollegium kam ich auf meine Rechnung. Hier lehrte mich Franz, ein Klassenkamerad und Sohn eines Walliser Bergführers, am Bettlerstock ob Engelberg sichern und abseilen. Klettern war uns verboten, wir taten es trotzdem und eroberten den Sättelistock über den Ostgrat, bestiegen den Hahnen und die Spannörter. Solche Abenteuer auf eigene Faust waren zwar illegal, und uns wurde immer wieder mit Entlassung aus der Schule gedroht. Wir konnten dem „Ruf der Berge“ aber nicht widerstehen, wurden lediglich verwarnt, aber nie geschasst, denn unter den Mönchen hatten wir verständnisvolle Fürsprecher.  Ausserdem waren wir sonst folgsame, anständige und loyale Schüler.

 

Als Lochi und ich im ersten Semester in Zürich studierten, begann für beide neben dem Studium die grosse Bergfreiheit. Anfänglich konnten wir sie allerdings nur an den Sonntagen nach der Frühmesse und während der Semesterferien, wenn wir nicht Militärdienst leisten mussten, geniessen.  Ausserdem hatten wir wenig Geld, sodass Franz meist zu mir nach Kriens kam, wo wir gratis wohnen und essen und dann Richtung Pilatus oder Bürgenstock losrennen konnten. Wenn wir die an den Wegweisern angegebenen Zeiten nicht um mehr als die Hälfte unterboten, waren wir nicht zufrieden. Als ich mir einen Töff leistete, wurde unsere Reichweite erheblich grösser und als dann, noch später, die katholische Kirche das Sonntags-Mess-Obligatorium auf den Samstagabend vorverlegte und unsere Gewissen, synchron zu dieser Massnahme, laxer wurden, wuchs auch unser Wirkungsradius. Ohne spezielle Ausbildung machten wir ernsthafte Klettertouren, wie z.B. den Salbitschyn, das Matterhorn und einige Viertausender. Gegen Ende des Studiums begann Franz die Ausbildung zum Bergführer. Bis er in St. Niklaus, seinem Dorf, eine Arztpraxis aufmachte, übte er diesen Beruf auch aus, und hie und da begleitete ich ihn als Träger.

 

Ich selber hatte im Militär zu den Gebirgstruppen wechseln können, wurde dort alpinistisch ausgebildet und konnte meine obligatorischen Wiederholungskurse während 10 Jahren als militärischer Bergführer in den Bergen verbringen. Zusammen mit zivilen Bergführern, wurde ich im WK zur Ausbildung von freiwilligen Dienstpflichtigen zu Gebirgssoldaten eingesetzt, abwechslungsweise ein Jahr im Winter, das andere im Sommer. Ab 1951 rückte ich nicht nur gern, sondern voller Freude ein, in gespannter Erwartung der Kameraden, der drei Wochen in der Natur und der kommenden Erlebnisse. Beinahe wäre der Anfang dieser abenteuerlichen Zeit auch deren Ende gewesen. Beim Abstieg vom Wetterhorn stürzte ich mit einem Kameraden am Seil durch ein Couloir, circa 200 Höhenmeter ab, konnte aber mit unbeschreiblichem Glück kurz vor dem tödlichen senkrechten Sturz bremsen. Wir waren nur leicht verletzt und erfuhren erst auf dem Weg ins Spital, dass durch dieses Couloir schon viele zu Tode gestürzt seien.

 

Der Vater wollte mir Klettertouren verbieten, erreichte aber nur, dass ich sie verheimlichte oder nur die Mutter informierte, die mich zur Vorsicht ermahnte und zum Schutzengel betete. Mit Ernst Karrer, den ich vor 60 Jahren in einem Gebirgskurs kennen gelernt hatte, gehe ich heute noch auf Skitouren. Aus der Bergkameradschaft war eine Freundschaft geworden, die auch unsere Familien umfasst und bereichert. Sehr verbunden bin ich auch mit Alfons Röthlin, der uns oft als Führer und Skilehrer begleitete.

 

Ich könnte jetzt seitenlang von Sommer- und Wintertouren in vielen Ländern erzählen, von vielen Menschen, mit denen ich am Seil war. Natürlich vor allem von Höhenpunkten, von einem Sturz ins Seil, von der Höhenkrankheit, usw., aber das wird für „normale Menschen“ in der Regel rasch langweilig, so wie mir, wenn ich bei längeren Gesprächen über Kochen, Musik, Fussball usw. als Zuhörer daneben sitze. Insider können stundenlang lebhaft und fasziniert über ihre Erlebnisse  diskutieren, erzählen, lachen, streiten. Viele organisieren sich zu diesem Zweck in einem Verein, geben sich Statuten und Regeln und verteidigen ihre Interessen gegen andere. So ist auch der SAC, der schweizerische Alpenclub, dessen Mitglied ich seit 50 Jahren bin, entstanden. Touren, die vom Verein organisiert wurden, habe ich allerdings nur wenige mitgemacht, weil ich es vorzog, mit befreundeten Kameraden eigene Unternehmen zu planen und durchzuziehen. In den Bergen suchte ich das Abenteuer, wollte eigene Wege gehen und nicht organisiert werden.

 

 

Bergsport und Beruf

 

Als Psychologe war es mir mit den Jahren immer wichtiger geworden, Einstellungen und Fertigkeiten für gutes Kommunizieren in Gruppen zu lehren. Die Art, wie die Teilnehmer bei Clubtouren, abends in der Hütte, miteinander, gegeneinander und aneinander vorbei redeten, ihre alpinen Heldentaten feierten, über Abwesende her zogen und offiziell die Bergkameradschaft hoch leben liessen, hatte mich oft enttäuscht. Es hatte mich auch im Militär angewidert, wenn über Abwesende negativ geredet wurde, man ihre Eigenarten belachte, ihre Fehler und Misserfolge kolportierte. Wenn diese Abwesenden höherrangige Vorgesetzte waren, wurden sie, wenn sie auftauchten, nicht selten umschmeichelt. Statt Hohngelächter waren dann kriecherische Zustimmung, ja Bewunderung, angesagt. Mich widerte diese unfaire Art miteinander umzugehen, die ich im Militär und beim Bergsteigen oft erlebte, an.

 

Mir schwebte eine sachlichere, offene, ehrliche, liebe- und respektvolle Art miteinander umzugehen vor, wie ich sie in meiner Familie und im Internat erlebt hatte und wie sie mir in meiner Ausbildung als Ideal, dem ich persönlich nachstrebte, dargestellt worden war. In der Lehrerausbildung und im Studium hatte ich mehrere Methoden gelernt, die zeigen, was Menschen brauchen, um sich positiv entwickeln und mit sich selber und den Mitmenschen konstruktiver umgehen zu können. Ohne dass mir die Gründe klar bewusst waren, mied ich, wo ich frei war, selber zu entscheiden, einzelne Menschen und Gruppen, die meinen Bedürfnissen und Einstellungen nicht entsprachen und verbrachte meine Freizeit mit ähnlich eingestellten Menschen. Noch während des Psychologie-Studiums verliefen diese Wahlen unbewusst. Mit gewissen Menschen fühlte ich mich wohl, mit anderen nicht, die einen suchte ich, die anderen mied ich. Jahre später bot ich im Rahmen der TZI-Ausbildung Wochenseminare  in "Klettern als Selbsterfahrung“ und "Skifahren als Selbsterfahrung" an.

 

 

 

 

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