Hans Näf  Leben und Wirken

 

 

 

 

   Zum Schreibprozess

 

   Die ersten 7 Jahre

   in der "Heimat" in

   Wolhusen

 

   In der Klosterschule

   Engelberg

   1. bis 8. Klasse

 

   Kriens Alpenstrasse

   ab Ostern 1931

 

   1948 - 52 Studium

   an der Universität

   Basel und die

   grosse Liebe

 

   1946/47 zwei

   Semester in Paris

 

   Militär

 

   1945/46

   Familienleben

 

   1945/46 Studium

   an der Universität

   Zürich

 

   Die Zeit nach 1959

 

   Schulpsychologe in

   Basel 1959 - 73

 

  Meine eigene

  Familie in Meggen

 

   Meine Zeit als

   Sekundarlehrer

 

   Bergsteigen und

   Skifahren

 

   Erlebte

   Schulgeschichte

Die Zeit nach 1959

 

Die Familie

 

1959 waren wir vom Fernblick in Mengen an die St.Alban Anlage in Basel umgezogen, weil ich in Basel als Schulpsychologe eine neue Stelle antrat. Für Mimi hiess das: die Betreuung der Familie ohne hilfreiche Geister zu bewältigen. Sie hoffte aber, mit der Zeit doch auch ihren Beruf ausüben zu können. Um das möglich zu machen, brauchten wir aber Hilfe für Haushalt und Kinderbetreuung. Per Inserat in der NationalZeitung suchten wir eine Haushalthilfe und es meldete sich ein junger Mann, der für seine holländische Freundin eine Stelle suchte. Er machte einen guten Eindruck und berichtete nur Positives von ihr. Da Dieter Nieswand der einzige Bewerber war, stellten wir die Anno von Den Helder unbesehen an. Sie gab von Anfanfgan offen zu, dass sie von Kochen und Kinderbetreuung keine Ahnung habe, ihrer Mutter aber im Haushalt oft geholfen habe. Im Velogeschäft, wo sie das Büro besorgt habe, sei man aber zufrieden gewesen mit ihr. Anni bezog die Mansarde, die zur Wohnung gehörte, war lernbegierig und freundlich zu allen Leute, lachte gerne und wir lernten viele holländische Ausdrücke von ihr.

 

Als Mimi dann eine Halbtagsarbeit im wissenschaftlichen Dienst der Firma Sandoz antrat, war Anni überfordert und der kleine Wernerli oder der Haushalt kam zu kurz. Inzwischen war aber die Stiefmutter von Mimis Mutter, Frau Lu, auch aus China ausgewiesen worden und langweilte sich in einem Altersheim in Hamburg. Was lag näher als sie zu importieren, für sie eines der 5 Zimmer einzurichten und ihr die Kinder anzuvertrauen. Diese genossen es sehr, ein Zimmer gemeinsam zu bewohnen.

 

 

Thomas

 

Die ersten Monate besuchte Thomas den Kindergarten, in dem er bestens Berndeutsch lernte. Bald aber kam er zu Herrn Klötzli ins Seevögeli Schulhaus in die erste Klasse. Dort lernte er leicht und willig, liebte den Lehrer und besuchte nach den 4 Primarschuljahren noch eine Übergangsklasse, in der er sich langweilte, dann aber voller Elan durch die St.Alban Vorstadt an den Münsterplatz ins humanistische Gymnasium rannte. Thomas lernte leicht und rasch, war immer voller Ideen und hatte einen grossen Bewegungsdrang. Als er dann in die Pubertätsjahre kam, sanken seine Leistungen derart ab, dass er eine "Ehrenrunde" - wie er es nannte - drehen musste. 1971 bestand er die Matur Typus A.

 

Schon vor der Matur hatte Thomi sich zur militärischen Aushebung stellen müssen. Er war fest entschlossen, die Militärdienstpflicht zu verweigern. Die Bemühungen eines seiner Lehrer, der im Militär einen höheren Grad hatte, zusammen mit den meinen, bewirkten , dass er sich bereit erklärte, sich als waffenloser Sanitätssoldat ausbilden zu lassen. Die Behörde dispensierte ihn von der Ausbildung an der Pistole, eigentlich entgegen der damals noch gültigen Regelung, um ihm die Gefängnisstrafe zu ersparen. Thomas absolvierte also nach der Matur die Sanitäts-Rekrutenschule ohne Probleme und machte, motiviert dadurch, eine Schnupperlehre in einem Spital und fand so seinen Beruf. Nach dem Medizinstudium wurde er Assistenzarzt und entschloss sich bald, sich in Anästhesie zu spezialisieren. Im Verlauf der Jahre stieg er bis zum Leiter der Anästhesie im Bethesda Spital in Basel auf. Er ist privat und beruflich allgemein beliebt und geachtet. Mit 60 ist er in Pension gegangen, da für ihn 40 Jahre Operationssaal genug seien. Regula, seine Frau,,arbeitet weiterhin als Krankenschwester, engagiert sich für die Gemeinde Zweisimmen, wo sie ein Haus, das unter Heimatschutz steht, und einen prächtigen Garten pflegt und sich immer wieder für die die weitere Näf-Sippschaft engagiert. Aus Danilo ist ein freundlicher Wirtschaftsmensch mit viel Humor geworden und aus Dominik ein Ingenieur, ebenso freundlich und tüchtig wie sein Bruder, zudem aber ein beängstigend kühner Sportler.

 

 

Martin

 

Martin war zwar hochgradig sehschwach, konnte aber den Weg zum Kindergarten durch die ruhige St. Alban Vorstadt selbständig bewältigen. Er ging gerne hin und fand in Maya Oeri ein gute Freundin, mit der er auch 4 Jahre in die Klasse von Herrn Brenner ins Seevögel pilgerte. Die zunehmende Sehschwäche bewirkte, dass Maya ihn mit den Jahren immer häufiger auf der Strasse begleitete und ihn auch in der Schule betreute. Martin konnte die kleiner und komplexer werdenden Schriften nicht mehr erkennen, sodass Maya ihm oft vorlesen musste. Martin lernte aber immer besser mit der Schreibmaschine für den Lehrer und mit der Bilderschriftmaschine für sich selber schreiben. Die Freundschaft wurde derart innig, dass Marianne, Martins Cousine, für die beiden an einem Wochenende in Kriens eine feierliche Hochzeit organisierte. Obwohl Martins Unterricht ganz auf Blindenschrift umgestellt werden musste, waren die Leistungen so gut, dass Herr Brenner fand, Martin müsse unbedingt das Gymnasium besuchen.

 

Ein Blinder in einem normalen Gymnasium? Das ging damals nicht ohne weiteres. Die Ärzte und Fachleute der Blindenerziehung rieten ab, ein blindes Kind zu lange in der Familie zu behalten, es würde dadurch verwöhnt und lebensuntüchtig. Ausserdem seien die normalen Schulen dafür nicht ausgerüstet. Wozu gäbe es denn spezielle Blindenschule, z.B. das Gymnasium in Marburg? Wir liessen uns verunsichern, reisten nach Marburg und kamen voll überzeugt zurück, dass wir alles daran setzen müssten, Martin in der Familie zu behalten und ihn in einem Basler Gymnasium schulen zu lassen. Immerhin hatten wir vernommen, dass es Lehrmittel für Blinde in Blindenschrift gebe, vor allem auch in Lateinisch und Griechisch und dass diese auf der ganzen Welt gratis verschickt werden könnten. Es war dann ein Leichtes, die Leitung und die Lehrerschaft des HG zu einem Versuch zu bewegen. Martin absolvierte die 8 Jahre trotz häufiger Spital-Unterbrüche ohne jegliche Schwierigkeiten. Allerdings mussten Mimi und Frl. Lehmann von der Beratungsstelle für Sehbehinderte ihn häufig in der technischen Bewältigung der Lerninhalte unterstützen. Bei Klassenlager und Skiausflügen war Martin ebenfalls immer dabei. Wie dies möglich wurde, weiss ich eigentlich nicht. Jedenfalls bestand er wie sein Bruder die Matur am HG, allerdings ohne Klassen-Repetition.

Martin war wegen der Blindheit vom Militärdienst dispensiert, weigerte sich, dafür eine Ersatzsteuer zu zahlen, erklärte sich aber bereit, Militärdienst zu leisten. Daraus ergaben sich Auseinandersetzungen mit den Behörden, bei denen beide gewannen. Martin indem er nicht zahlte und das Militäramt, weil es Martin nicht betrieb, und ihm erklärte: „ Wir sind doch nicht blöd und lassen uns in der Presse lächerlich machen, weil wir einen Blinden wegen Nichtbezahlen der Militärpflicht Ersatzsteuer betrieben haben“.

 

Da ihm die Englischlehrerin nicht gepasst hatte, hatte er den Englischunterricht am HG abgebrochen und reiste, um doch englisch zu lernen, zu unseren Freunden, den Dillers, nach Eugene, Oregon, wo er anfänglich in der Familie wohnte, bald aber in ein College wechselte. Dort und an der Uni schlug er sich selbständig durch. Das heisst, er organisierte sich die notwendigen Hilfen selber.

 

Nach dem Prinzip „selbständig ist der Martin“ gestaltete er seine Zukunft. Als erstes verzichtete er auf den Studienplatz, der ihm die Universität Oregon wegen seinen ausgezeichneten Leistungen angeboten hatte, kehrte nach Basel zurück und wusste nicht, was er werden wolle.

 

Als ich nach einem Besuch der Ecole d’Humanité am Familientisch erzählte, dort werden Mitarbeiter gesucht, fragte Martin, ob er da wohl eine Chance hätte, blind und ohne Lehrerdiplom. Als er mit Armin und Natalie Lüthi, dem Leiterpaar, darüber sprach, erhielt er eine Zusage und wurde für ein Jahr Mitarbeiter, d.h. Familienbetreuer und Lehrer. Damit hatte er seine Berufung gefunden!

 

Das war nach meiner Erinnerung einer der ersten Schritte von Martin zu völlig selbständiger Lebensgestaltung. Von da weg ging er so viele Wege, dass ich, voll im eigenen Beruf engagiert, die Übersicht verlor und es auch nicht mehr notwendig fand, ihn zu beraten. Im Gegenteil , Mimi und ich staunten immer wieder, wenn er von seinem Leben erzählte und freuten uns über seinen Mut, seine Lebendigkeit und seine Weltgewandtheit.

 

Auf seiner Webseite stellt Martin Näf seinen Lebensgang selber dar. Die Lektüre lohnt sich sehr!   http://www.martinnaef.ch

 

 

Werner

 

Werner kam 1959 auf die Welt und erlebte den Umzug nach Basel in einer Tragtasche. Er war uns Eltern ebenso willkommen wie die beiden Brüder. Mimi, chinesisch infiziert, hätte gern noch mehr Buben das Leben geschenkt, aber es blieb bei dreien. Werner besuchte den gleichen Kindergarten und das gleiche Schulhaus wie Martin, holte sich seine gymnasial Bildung aber im MNG, da er mathematisch-naturwissenschaftlich besser begabt war als sprachlich. Die Übergangsklasse war für ihn gut und er schaffte das Gymnasium ohne Repetition, aber mit viel Arbeit für Deutsch und Französisch. Im Gegensatz zu seinen Brüdern war er der Ansicht, die Schweiz brauche zur Wahrung ihrer Selbständigkeit eine Armee, absolvierte ohne Widerstand die Infanterie-Rekrutenschule, absolvierte einige Wiederholungs-Kurse im Basler Bataillon, erlitt aber bei einer Aargauer Einheit , in der er einen WK nachholen musste, wegen der dort viel rüderen Befehlerei  eine Depression. Wegen seiner Sensibilität wurde er darauf vom Militärdienst dispensiert.

 

Werner studierte nach der RS in Basel Biologie, liebte aber die vielen abstrakten Theorien wenig und wollte nach dem Vordiplom zur Kunstgewerbeschule wechseln. Vorher besuchte er in New York während einiger Monate mit Vergnügen eine Töpfer- Schule, lernte nebenbei gut englisch und bestand die Aufnahmeprüfung in die Kunstgewerbeschule. Fing dort aber nicht an, sondern studierte weiter und entdeckte während dem seine Liebe zur Schreinerei. Nachdem er als Biologe diplomiert war, begann er voll als Hilfsschreiner zu arbeiten, machte sich bald selbständig, absolvierte dann, statt in 4 in 2 Jahren, doch noch eine Schreinerlehre. Der Schreinerei ist er treu geblieben. Heute leitet Werner das eigene Geschäft in Kleinbasel, wie wenn es nie hätte anders kommen können.

 

Für Mimi und mich waren in dieser Phase unseres Lebens die Familie mit den Kindern und die beruflichen Verpflichtungen im Vordergrund. Unsere persönlichen Beziehungen gaben uns viel Kraft und Befriedigungen. Es gab wenig Reibereien und wir hatten viel Energie, auch einen Freundeskreis aufzubauen und eine intensive Freizeit mit und ohne Kinder zu gestalten und zu geniessen. Wir verbrachten die Wochenenden oft im Haus meiner Eltern, wo unsere Buben mit Cousin und Cousine intensiv spielen konnten, von wo aus wir Ski fahren oder wandern gingen. Mimi und ich konnten auch einige Ferienwochen ohne Kinder auf Reisen gehen. Wir umreisten Korsika, Griechenland, wo die Besteigung des Olymp mit Ski der Höhepunkt war. Ich ging mit Freunden oft Klettern und Skifahren. Diese Seite meines Lebens möchte ich auch noch etwa genauer anschauen. (Vgl. auch hier.) Auf Kosten unserer Arbeitgeber konnten Mimi und ich uns auch gemeinsam weiterbilden. Einmal besuchten wir eine internationale Weiterbildungswoche in Kinderpsychiatrie in Rom und in Edinbourg.

 

 

Vom St. Albanquartier ins Bruderholz

 

Da Verkehrslärm und Benzingestank uns immer stärker belästigten, fingen wir an, uns nach einer ruhigeren Wohnung umzusehen. 1967 konnten wir ein 6-Zimmer Haus auf dem Bruderholz von der Christoph Merian Stiftung mieten. Dort erhielt jeder Bub ein eigenes Refugium, was vor allem Thomi und Martin sehr schätzten und wohin sie sich altersentsprechend immer mehr zurückzogen. Oma Lu kam selbstverständlich mit uns, obwohl Wernerli sie nicht mehr brauchte. Anni wollte jetzt frei sein und mit Dieter eigene Kinder haben. Wir bedauerten es sehr, dass sie uns verliess, denn sie war uns allen sehr lieb geworden und wir ihr auch. Die neue Haushalthilfe wurde auf Wunsch aller Familienmitglieder schon nach wenigen Wochen entlassen. Wir konnten ihre grobe Art nicht ertragen und beschlossen deswegen, die Hausarbeiten unter den Familienmitgliedern aufzuteilen. Das klappte aber nur, wenn wir wöchentlich eine Besprechung abhielten. Wir hielten uns dabei an die Vorschläge der Familienkonferenz. Mit diesem Titel war damals ein Buch erschienen. Das half uns sehr, den Familienbetrieb befriedigend zu gestalte, ohne dass Mimi überlastet wurde. Wir beide hatten ein Schlafzimmer, in dem ich mir einen Arbeitsplatz einrichtete, als ich nicht mehr als Schulpsychologe einen Arbeitsplatz hatte, sondern selbständig frei erwerbend war. Stube, Küche und Garten gehörten natürlich allen. Den Garten teilten wir mit zwei griechischen Schildkröten, die wir bei einer unserer Griechenlandfahrten mit den Kindern zwischen Sparta und Mistra vor dem Überfahren werden gerettet hatten.

 

Natürlich gab es mit den Söhnen, die immer selbständiger wurden und vom rebellischen Zeitgeist erfasst, auch Schwierigkeiten, die aber zum grossen Teil in lebhaften Gesprächen während des Essens analysiert und so ausgetragen wurden. Viel zum guten Einvernehmen trugen unsere gemeinsamen Freizeit- und Ferienerlebnisse bei. Im Winter war vor allem das Skifahren wichtig, wobei Martin, auch mit zunehmender Blindheit, immer mitmachte. Ich war ja im Militär in den Gebirgskursen als Skilehrer tätig und so war ich geübt genug, Martin anzuleiten und ihn dann auch ins Familien Skifahren zu integrieren, als er mit 12 voll blind wurde. In der Westschweiz entstand damals eine Vereinigung der „Skieurs aveugles“, bei denen wir eine Woche mitmachten und so viel plaisir hatten in dieser fröhlichen Gesellschaft, dass wir es unterliessen, eine Deutschschweizer Gruppe zu gründen, weil es bei uns kaum so fröhlich hätte werden können. Lieber gingen wir wieder nach Les Diablerets.

 

Die Sommerferien wollten wir, auch als Martin ganz blind geworden war, gemeinsam verbringen, und zwar aktiv, wie wir es gewohnt waren. Aber wie? Es ist eine innerfamiliäre Streitfrage geblieben, wer die Idee hatte, wir könnten mit Zelt und Velo zu Tante Rosie fahren, aber alle waren begeistert. Anfangs Sommerferien 1972 trug uns der Peugeot, innen vollgestopft mit Campingausrüstung, oben drauf ein Tandem und zwei normale Velos, nach St. Moritz, wo das eigentliche Unternehmen starten sollte. Täglich abwechselnd fuhren Mimi oder ich mit dem Materialwagen voraus, um das Zelt aufzustellen und einen Tag lang lesen zu können. Alles klappte fantastisch, bis Innsbruck, wo es am Morgen regnete, mittags auch noch und als den Buben und Mimi am Nachmittag das Jassen im Zelt verleidet war, prophezeite der Herr vom Radio Fortdauer… Was tun? Im Regen fahren löste keine Begeisterung aus. Mein Vorschlag dagegen zaghafte Zustimmung. Die Velos blieben im „Schermen“ stehen, der Stationsvorstand versprach ein Auge darauf zu haben und wir stopften den Rest ins Auto und fuhren über den Brennerpass an den sonnigen Kalterersee, wo wir baden konnten und es allen derart wohl war, dass wir erst zu den Velos fuhren, als der Herr vom Radio eindeutige Wetterbesserung versprach. Immer dann dem Inn entlang bis fast an die Donau und da fand die mühselige Trampelei ein Ende, denn irgendwo fiel Martin, der auf dem Zeltplatz allein unterwegs war, von einem Brücklein in ein Bächlein. Im Spital wurde das verletzte Bein genäht und eingeschient. Die Velos fuhren per Bahn zurück nach Basel, aber erst nachdem die Bahnbeamten sich mit dem Tandem auf dem Bahnhofplatz ein Gaudi gemacht hatten.

 

Wir fuhren im Auto nach Wien. Das Zelt konnten wir bei Rosie im Garten aufstellen und das Stadtleben geniessen. Wien hat ja wunderbare Schlösser, tolle Museen, alles was das Herz begehrt, doch die Herzen der Buben lechzten nach Aktivität und Erlebnissen. Irgendwie vernahmen wir, dass man auf der alten Donau segeln könne. Da braucht man ja die Beine nicht und für einen Blinden ist es nicht gefährlich. So kam es, wie es kommen musste: Mami sitzt am Ufer, liest und freut sich, dass ihre Männer etwas gefunden haben, was sie als Ferienabenteuer geniessen können. Hier entstand der Plan, in den nächsten Sommerferien auf einem richtigen See richtig segeln zu lernen. Dieser wurde ein Jahr später am Neuenburgersee realisiert, wobei auch Mimi mitmachte. Thomi und ich erwarben uns ein Segelpatent., sodass wir selbständig, ohne Lehrerin Boote mieten konnten. Martin wurde Vorschootman und spezialisierte sich auf „Mann über Bord“ spielen.

 

 

1979 neues Heim am Hasliberg

 

Die Buben wurden älter und lösten sich immer stärker aus der Familie, verbrachten ihre Zeit mit Kollegen, und ich verlor die Übersicht schon damals und heute weiss ich noch gut, wie Mimi und ich in dem grossen Haus ohne Jungmannschaft lebten. Die Buben zogen in WGs, ins Militär, einer nach dem andern fing an zu studieren. Oma Lu brauchte Pflege und Mary starb 1978 an einem Schlaganfall, als Werner in einem Pfadilager war und Mimi und ich in unserem Berghaus in Pläviggin weilten.

 

Wie gewohnt gingen Mimi und ich unseren Verpflichtungen und Vergnügen nach und genossen das Freisein. Allmählich entstand in mir der Wunsch, mehr in der Natur zu leben und zu wohnen und wir suchten eine Bleibe in der Umgebung der Stadt. Ich merkte dabei aber, dass ich eigentlich in den Bergen wohnen möchte und so kam es, dass wir l978 in Reuti Hasliberg ein Haus bauten und bezogen, wo ich meistens lebte und Mimi vom Freitag bis zum Montag ebenfalls. Für Mimi war die kleine Wohnung am Voltaplatz, nahe bei ihrem Arbeitsort, gedacht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Da ich in Basel jahrelang vom Institut für Lehrerfortbildung viele Aufträge bekam, weilte ich auch immer wieder hier. Bis 2000 führte ich auch jedes Jahr mehrere Kurse für das Basler Personalamt durch. Zuerst waren es Gesprächskurse für gewöhnliche Mitarbeiter, dann kamen solche für unteres, mittleres und oberes Kader hinzu, weil jede Stufe bei den Auswertungen regelmässig darauf hinwies, dass auch ihre Vorgesetzten lernen sollten, was sie jetzt anwenden könnten. Mimi hatte bei Sandoz ihr Heimspiel, sie wurde sehr geschätzt, liebte ihre Arbeit und wurde sogar ein wenig befördert, was damals unüblich war. Ich genoss meine Heimspiele auch sehr und bekam dazu noch viele Anfragen für Auswärtsspiele. Dabei arbeitete ich immer mit Gruppen und nur selten mit Einzelberatungen. Referate wurden immer seltener, und wenn, dann im Anschluss an Problemdiskussionen, Fallbesprechungen oder Supervisionen.

 

Als Mimi und ich beschlossen, in die Berge zu ziehen, kamen wir selbstverständlich mit Armin und Natalie und Ruth Cohn ins Gespräch. Sie unterstützten uns und ich übernahm es, neben meinen übrigen Verpflichtungen Kameraden und Mitarbeitern der Ecole als pädagogischer Berater zur Verfügung zu stehen. Dadurch wurde ich sehr vertraut mit dem Leben in der Schule, deren Stärken und Schwächen und mit vielen MitarbeiterInnen und KameradInnen. Später wurde ich auch Präsident der Genossenschaft der Ecole d Humanité. Beide Aufgabe musste ich aber nach der Trennung von Mimi abgeben, denn jeder Besuch am Hasliberg löste bei mir damals eine derartige seelische Krise aus, dass ich hier funktionsunfähig wurde. Vera Gerwig von Basel übernahm das Präsidium und Theo Steiner von Luzern die Beratungen. Erst Jahrzehnte später schrieb ich das Buch über die Menschliche Schule.

 

 

Weiterbildung

 

Schon l970 hatte ich Ruth Cohn an einem Seminar für Gruppendynamik über themenzentrierte interaktionelle Selbsterfahrung referieren gehört. Ich war äusserst beeindruckt, denn was sie berichtete, versuchte ich seit Jahren, allerdings weniger klar strukturiert und weniger durchdacht, zu tun. So rasch wie möglich besuchte ich einen Kurs bei ihr, der mich dermassen bereicherte, dass ich via den Schweiz. Pädagogische Verband einen Brief an Kollegen und Kolleginnen schickte. Damit hatte ich offenbar ins Schwarze getroffen, denn es kamen viele Anmeldungen.

 

 In den folgenden Jahren besuchte ich Fortbildungskurse von Ruth Cohn, orientierte mich immer stärker an ihrer Themenzentrierten Interaktion, machte die ganze Ausbildung bis zur Graduierung und offerierte jahrelang Ausbildungskurse in TZI oder leitete Seminare nach TZI bei sehr unterschiedlichen Fragestellungen. Ich veranlasste neben vielen andern auch , sich in TZI auszubilden. Wir besuchten einige Seminare bei Ruth gemeinsam und daraus entstand eine Freundschaft. Als Schulz von Thun am psychologischen Institut der Universität Hamburg Professor geworden war, erhielt ich einen Lehrauftrag. Jahrelang reiste ich jedes Semester für eine Woche nach Hamburg, um mit je etwa 20 Student/-innen mit TZI an der Persönlichkeit zu arbeiten. Dabei erlebte ich die Hamburger Studierenden zu Beginn der Seminare regelmässig zurückhaltend und untereinander und mir gegenüber sehr kritisch. Meine Leitung nach TZI, mein langsames, schweizerisch gefärbtes Hochdeutsch und mein intensives Bemühen, alle und alles zu verstehen, bevor ich eine eigene Meinung äusserte, wirkten beruhigend und vertrauensbildend. Statt der hektischen Diskussionen, die sonst üblich waren, versuchten die Student/-innen auch einander und die Probleme zu verstehen. Das bewirkte regelmässig, dass aus den anfänglich rivalisierenden Kämpfern lockere, fröhliche Diskussionspartner wurden. Das war für alle regelmässig ein aufstellendes Erlebnis und bestätigte mir über Jahre den Wert der Cohnschen TZI.

 

Schon als ich im ersten Seminar bei Ruth war, hatte sie angetönt, dass sie hoffe, von New York wegziehen und sich in der Schweiz niederlassen zu können. Als ich diesen Wunsch ein Jahr später von ihr wieder hörte, fragte ich sie, ob ihr das wirklich ernst sei, und sie antwortete: “Ja, das habe ich Dir ja schon letztes Jahr gesagt.“ Da ich wusste, dass die Ecole d'Humanité psychologische Hilfe suchte, rief ich sofort Armin Lüthi an und vermittelte eine Begegnung der beiden. Es dauere kein Jahr und Ruth Cohn wohnte am Hasliberg. Sie arbeitete mit den Mitarbeitern der Ecole und bald im ganzen deutsch- sprachigen Raum. Daraufhin verbreitete sich die Cohnsche Konzeption von Menschenbildung in Pädagogik, Psychologie und Management sehr rasch. Ich finde eine gründliche Ausbildung in der TZI heute noch für alle, die mit Menschen umgehen müssen, die Methode der Wahl. Sie ist leicht verständlich und in der Praxis hilfreicher als alles, was ich im Verlauf meiner beruflichen Tätigkeit kennen gelernt habe. Aus diesem Grund wird TZI in einem eigenen Kapitel dargestellt:  Ruth C. Cohn und TZI

 

Die intensive Weiterbildung in TZI, zusammen mit meinen positiven Lebenserfahrungen, veränderte mich persönlich ziemlich stark. Ich wurde selbständiger und mutiger, getraute mich mehr meine eigene Meinung zu sagen, meine Bedürfnisse zu äussern und zu verteidigen. Dadurch wurde ich als Kursleiter klarer und anspruchsvoller, was die Teilnehmer herausforderte und meine Kurse lebendiger machte. In Hamburg meldeten sich jedes Semester viel mehr Studenten für meine Seminare an als ich aufnehmen konnte.

 

 

Persönliche Veränderungen

 

Die private Bilanz dagegen sah leider anders aus. Ich wurde in der Ehe weniger pflegeleicht, passte mich weniger „dem Frieden zu lieb“ an, als ich das früher getan hatte, forderte dadurch Mimi stärker heraus, sodass sich Zusammenstösse häuften und unsere Beziehungen konfliktreicher wurden. Mimi hatte jahrelang einen sehr friedfertigen, nachgiebigen Mann gehabt und hatte sich daran gewöhnt, dass sie das Sagen hatte. Nachdem sie 1990 pensioniert war, wir die kleine Wohnung in Basel aufgelöst hatten, lebten wir ständig miteinander, konnten uns nicht mehr ausweichen und schafften es immer häufiger nicht, Differenzen friedlich zu bewältigen. Gerade das war eines meiner beruflichen Hauptanliegen, andere zu lehren, mit Konflikten konstruktiv umzugehen… und in meiner Ehe schaffte ich es immer weniger. 3 Jahre lang versuchten Mimi und ich, auch mit fremder Hilfe, sehr intensiv unser Zusammenleben zu retten, aber es gelang uns nicht. Ich erlebte wie schwierig es war, trotz besten Willens, mein Können und Wissen in meiner engsten und liebsten Beziehung in Tat umzusetzen. Wir beide litten sehr und zeitweise litt auch die Qualität meiner beruflichen Arbeit. Mit längeren Reisen versuchten wir der Enge des Hasliberg zu entkommen und durch neue Erlebnisse entspannter, frohgemuter und hoffnungsvoller zu werden. Aber weder die Wochen in Kreta noch die in Schweden halfen.

 

Als ich mich dazu noch in einer Supervisionsgruppe in Ilse verliebte, gaben wir auf. Ich zog in eine eigene Wohnung in Basel, Mimi blieb am Hasliberg. Freunden und Verwandten schicken wir folgenden Brief:  "Liebe Freunde, liebe Verwandte..."

 

 

Mimis Leben von l993 bis 2004  (Vgl auch hier.)

 

Mimi machte dann eine sehr schwere Zeit durch, voller Trauer, Wut und Verzweiflung. Das bedrückte mich und alle Freunde und Verwandten sehr, aber niemand konnte Mimi helfen und sie selber auch nur selten. Mir ging es viel besser, ich fand eine zweite grosse Liebe, konnte der gewohnten und geliebten Arbeit nachgehen, war im altvertrauten Rahmen in Basel von Freunden und Bekannten umgeben. Mimi dagegen war viel einsamer, trotz vieler Versuche von Freundinnen und Verwandten, sie zu stützen und mich als Täter und sie als Opfer zu sehen.

 

Ein Hirnschlag raubte Mimi nach etwa zwei Jahren die linke Hälfte des Gesichstfeldes, was sie unsicher und unbeholfen machte und zwang, das Haus am Hasliberg aufzugeben und in der Nähe von Werners Familie in Arlesheim eine kleine Wohnung zu beziehen. Die Nähe zu ihren Verwandten erleichterte ihr zwar das Leben und auch wir beide konnten wieder liebevoller miteinander umgehen, waren aber doch enttäuscht, dass Menschen, die einander einmal so innig geliebt hatten, sich derart auseinander leben konnten.

 

Dass ich mit Ilse dagegen eine Zeit voller Freuden und Glück erleben konnte, erschien mir ein überwältigendes, unverdientes Wunder, für das ich heute noch dankbar bin und zu dem ich Sorge trage. Dass meine Kinder Ilse lieb gewinnen konnten und dass Ilses Kinder und auch Mark mir so freundlich entgegenkommen, ist ein weiteres Geschenk in meinem Leben. Auch dass wir, nach etlichen misslungenen Versuchen miteinander zu wohnen, am Unteren Rheinweg eine wunderschöne gemeinsame Wohnung geniessen können, ist ein Geschenk vom Himmel.

 

 

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