Hans Näf  Leben und Wirken

 

 

 

 

   Zum Schreibprozess

 

   Die ersten 7 Jahre

   in der "Heimat" in

   Wolhusen

 

   In der Klosterschule

   Engelberg

   1. bis 8. Klasse

 

   Kriens Alpenstrasse

   ab Ostern 1931

 

   1948 - 52 Studium

   an der Universität

   Basel und die

   grosse Liebe

 

   1946/47 zwei

   Semester in Paris

 

   Militär

 

   1945/46

   Familienleben

 

   1945/46 Studium

   an der Universität

   Zürich

 

   Die Zeit nach 1959

 

   Schulpsychologe in

   Basel 1959 - 73

 

  Meine eigene

  Familie in Meggen

 

   Meine Zeit als

   Sekundarlehrer

 

   Bergsteigen und

   Skifahren

 

   Erlebte

   Schulgeschichte

1948-1952 Studium an der Universität Basel und die grosse Liebe

 

 In Paris hatte ich den Existenzialismus von Sartre ein wenig kennen gelernt, dabei auch von Jaspers einiges erfahren, was ich sehr interessant fand. Sartre war ein dezidierter Atheist und lehnte den Gottesglauben als Illusion radikal ab. Nach ihm ist der Mensch auf die Welt geworfen und musste den Sinn des Lebens selber erfinden.  Seine Aufgabe ist es, sich hier zurechtzufinden. „L’homme est jeté au monde pour se trouver lui même“.

 

Der Philosoph Karl Jaspers, der 1948 an die Universität Basel berufen wurde, bewog mich, von Zürich nach Basel zu wechseln. Von Jaspers wusste ich, dass er alle Glaubenssysteme als Mythen, als Erklärungsversuche mit Ehrfurcht betrachtete. Nach Jaspers verdienen sie Achtung und Wertschätzung, auch wenn sie rationalen Analysen nicht standhielten. Diese Mythen seien Chiffren, die auf etwas Dahinterliegendes hinwiesen, das mit dem Verstand nicht zu fassen sei. Diese Sichtweise ging mit meinem bisherigen katholischen Glauben viel behutsamer um, lehnte ihn nicht rundweg ab, sondern liess mir die Hoffnung, dass ich ihn nicht radikal aufgeben müsse.

Je länger ich von Engelberg weg war, um so weniger konnte ich die Klosterwahrheiten akzeptieren, um so intensiver waren meine Glaubenszweifel geworden. Ich besuchte zwar weiterhin am Sonntag den katholischen Gottesdienst, las entsprechende Schriften und versuchte die christlichen Grundüberzeugungen zu retten. Es konnte doch nicht sein, dass die Geschichten vom lieben Gott, der die Welt erschaffen hat, sie erhält und uns Menschen nach seinem Ebenbild aus Liebe geformt hat, einfach fantastische Wunschbilder waren. Die römisch-katholische Kirche, mit einem unfehlbaren Vertreter des Gottes auf Erden konnte ich noch verschmerzen, aber alle Religionen Fantastereien? Darüber wollte ich an der Uni Basel von Jaspers mehr erfahren. Dort gab es ja auch den berühmten Theologen Karl Barth.

 

 

Das Studium 1948 - 1952

 

Ausser Fred, den künftigen Mann meiner Cousine Trudi, kannte ich in Basel niemanden, als ich per Motorrad (BSA, 1 Zylinder, 500 cm3), mit einem Koffer auf dem Gepäckträger, an einem sonnigen Herbsttag dorthin aufbrach. Es war eine holprige Fahrt, es gab noch keine Autobahn und mein fahrbarer Untersatz hatte keine Hinterradabfederung.  Ohne Stau dauerte sie mindestens zwei Stunden, aber ich war frohgemut  und sang („wahrscheinlich falsch“ würde meine Schwester sagen). Ich hatte mein Sekundar-Lehrpatent, den Ausweis für die Wahlfähigkeit an den Sekundarschulen des Kanton Luzern, in der Tasche, hatte also schon einen Beruf. Ich war nicht mehr nur Student, konnte aber weiter studieren und freute mich auf die Zukunft! Verglichen mit dem Beginn des Studiums in Zürich hatte ich an Selbständigkeit und Selbstsicherheit gewonnen.

 

Bei Fred konnte ich neben der Mustermesse ein Zimmer beziehen, so war ich nicht isoliert sondern mit einem etwas älteren Kollegen zusammen. Fred war Buchhalter, im Militär, wo ich ihn kennen gelernthatte, Feldweibel und stand mit beiden Beinen im Leben. Wenn ich irgend ein Problem hatte, konnte ich mich an ihn wenden, er wusste immer eine Lösung und er machte sich auch kaum Sorgen darüber, ob wohl jemand dagegen sein könnte. Er bewegte sich viel leichter im Leben als ich. Am Essen, Trinken, Festen und an Frauen freute er sich ungeniert. Er fand es sensationell, dass wir am Mittag auf einem tiefer gelegenen Balkon eine nackte Schönheit beim Sonnenbaden bewundern konnten. Ich konnte mich nur mit schlechtem Gewissen diesen Vergnügen hingeben, im Gegensatz zu Fred, der nicht wie ich in einer Klosterschule, sondern im Aktivdienst ausgebildet worden war. Sexuelle Lust ausserhalb der Ehe sei eine schwere Sünde, hatte man mir in der Klosterschule, mit Erfolg, eingebleut. In der Zeit mit Fred wurde mein katholischer Moralismus weiter aufgeweicht, aber nicht völlig aufgelöst...

 

So bald wie möglich studierte ich das Anschlagsbrett in der Uni, auf dem die Professoren der Phil. I Fakultät ihre Vorlesungen ankündigten. Ich verschaffte mir ein Kollegienbuch und notierte mir darin meine geistige Speisekarte für das Wintersemester 48/49:

Philosophie der Existenz, bei Heinrich Barth. Diese Vorlesung fand ich dann sehr interessant. Leider fand sie am Montag von 8 bis 9 Uhr statt. Nach Weihnachten, als ich jedes Wochenende auf den Ski verbrachte, war ich am Montagmorgen immer so schläfrig und konzentrationsschwach, dass ich auf diesen geistigen Genuss immer häufiger verzichten musste. Die Einführung in die Philosophie und das philosophische Seminar von Karl Jaspers, beides fand ich spannend und bewegend. Dabei bildete sich in mir, an Stelle des wackligen  katholischen Glaubens die Ansätze eines philosophischen Glaubens. Bei Prof. Hans Kunz hörte ich Grundzüge der Ausdruckspsychologie und  der psychologisch-anthropologischen Strömungen. Seine differenzierten Analysen faszinierten und überforderten mich.

 

Es hat keinen Sinn, mehr von meiner geistigen Kost zu schreiben, denn inhaltlich weiss ich davon wenig mehr zu berichten. Ich weiss nur, dass viele Vorlesungen hoch interessant waren, ich oft nur wenig begriff oder nur der Spur nach ahnte, worum es ging. Mit jedem Semester verstand ich einiges besser, aber in keinem Fach gab es eine systematische Ausbildung. Die Fragmente setzten sich in meinem Kopf auch nicht zu einem Gesamtbild zusammen. Die einzelnen Professoren gaben  persönliche, kleine Einblicke in die unendliche Geisteswelt. Nicht einmal Prof. Bonjour versuchte eine zusammenhängende Schweizergeschichte zu skizzieren. Prof. Jaspers schrieb zwar dicke Bücher über die Geschichte der Philosophie und über die grossen Philosophen, las dann ein Semester lang über  Phänomenologie. Es blieb dem einzelnen Studenten überlassen, was er vertiefen  wollte und wie er sich einen Überblick verschaffen konnte. Weder die Uni als Ganzes, noch die Fakultäten machten einen Versuch systematische Überblicke oder notwendiges Grundwissen zu vermitteln.

 

 Wenn ich richtig sehe, versuchen die Universitäten heute, einen Kanon des notwendigen Wissens zu definieren, diesen systematisch zu lehren und die Studenten durch kontinuierliche Prüfungen zu zwingen, davon Kenntnis zu nehmen. Mir scheint dieser Versuch kontrollierter Fütterung als gegenteiliges Extrem ebenso unzulänglich, wie weiden zu können auf weiten Feldern und dort sich das einzuverleiben, was man selbständig oder zufällig findet und was einem mundet. Wahrscheinlich liegt die optimale Lösung irgendwo dazwischen. Ich hatte das Glück an der Universität Basel, in Karl Jaspers einen massgeblichen Lehrer gefunden haben, wie früher im Gymnasium Pater Thomas und später im Berufsleben Ruth C. Cohn. An diese drei denke ich mit Dankbarkeit, Hochachtung und Liebe zurück.

 

In den ersten Semestern war ich, auch in Basel, ziemlich einsam und an der Uni unbehaust, lernte dann aber doch einige Studenten der Psychologie und der Philosophie kennen, vor allem Ernst Siegrist, mit dem zusammen ich, Jahre nach dem Doktorat, Schulpsychologe wurden. Die Teilnahme an Sportveranstaltungen der Uni verhalfen mir, wie in Zürich, allmählich zu Freundschaften und Kameradschaften. Besonders wichtig war dabei Franco Sani, der Nationalökonomie studierte, und den ich beim Trainieren auf der Aschenbahn und beim Boxen kennen lernte. Durch ihn lernte ich einige seiner Klassenkameraden vom humanistischen Gymnasium kennen. Im Skilager der Uni Basel in Engelberg erlebte ich Fritz Pieth als Unisportlehrer. Er animierte mich, an studentischen Wettkämpfen teilzunehmen. Überraschend  gewann ich  die Skimeisterschaft  der Uni und wurde Mitglied des akademischen Skiclubs, mit dessen Kameraden ich an den Schweizermeisterschaften der Akademiker teilnehmen konnte. Dabei landeten wir Basler regelmässig in den hinteren Rängen. Ebenso ging es uns bei den Wettkämpfen mit den Universitäten Grenoble und Freiburg i.B.  Skilager und Wettkämpfe waren immer wieder emotionale Höhepunkte meines Studentenlebens. Dabei habe ich natürlich auch Studentinnen kennen gelernt, mit denen freundschaftliche Verbindungen entstanden, die sich wegen unser aller Schüchternheit nur langsam entwickelten. Ein einziges Mal landete eine Freundin bei mir im Bett, aber wir waren beide so betrunken, dass wir in voller Montur nebeneinander unseren Rausch ausschliefen.

 

Einen ganz lieben amerikanischen Freund habe ich auch auf dem Sportplatz kennen gelernt, Ed Diller. Wir drehten Runden auf der Aschenbahn im Joggeli. Mit uns trottete ein grosser, schwerer Amerikaner, der dann später auch ins Skilager mitkam und bei den Anfängern ungemein schnell  Ski fahren lernte. Aus der Begegnung beim Sport wurde ziemlich rasch eine persönliche Freundschaft. Ed war als Soldat im Pazifik gegen die Japaner im Einsatz gewesen.  Als 18-Jähriger hatte er sich freiwillig bei den Marines gemeldet, sprach aber ungern von seinen Kriegserlebnisse. Er war durch diese zum  Pazifisten geworden. Über die Wochenenden kam er oft mit mir nach Kriens. Meine Eltern und auch meine Schwester mochten ihn gut, da er liebenswürdig, offen und humorvoll war. Wir kamen einander so nahe, dass wir 1949 sechs Wochen lang auf einer gemeinsame Töfftour  Deutschland, Dänemark, Holland, Belgien und Frankreich bereisten. Die letzte Tage der Reise verbrachten wir in Valantigney in der Familie des Pariser Freundes Georges Glardon, wo wir  nach wochenlangen Strapazen und Entbehrungen wie die Götter in Frankreich lebten.  Am 7.9.49 schrieb ich in mein Tagebuch:“ Gemütlich gondeln wir der  Grenze entgegen. Hühner, Enten, Hunde und Kühe legen uns ständig Hindernisse in den Weg, als ob sie uns hier behalten wollten. Es lebe die französische Gastfreundschaft! Um 5 Uhr in Basel, wo inzwischen der kleine Markus eingetroffen ist.“

 

Bei  meiner Cousine Trudi, die Freds Frau geworden war, wo ich bis jetzt gewohnt hatte,  musste ich das Zimmer räumen, weil an meine Stelle ein kleiner Markus krähte. Ich fand bei der Familie Löw am Karpfenweg Unterkunft, wo ich blieb, bis Ruedi Wyss mich einlud, mit ihm die Einzimmerwohnung, die er an der Heuwaage bezogen hatte, zu teilen. Das kam billiger, ich war näher an der Uni und hatte Kontakt mit Ruedi, dem Klassenkameraden von Engelberg. Ruedi war ein gemütlicher, lebenslustiger Couleurstudent, der als Arbeiter im Rheinhafen sein Chemiestudium selber finanzieren musste. Dies hinderte ihn aber nicht daran, viele Feste zu feiern und nach Wirtschaftsschluss gelegentlich bei uns weiter zu machen. Dabei  störte es mich oft beim Schlafen oder Arbeiten, denn ich gehörte meist nicht zu seinen Saufkumpanen. Um mich zu besänftigen, brachte er mir Geschenke mit, Aschenbecher, Salzgefässe, Gläser, die er in der Wirtschaft hatte mitlaufen lassen. Einmal wurde ich so wütend über die angetrunkene Bande, dass es zu einem Kampf kam, den ich verlor. Ich wurde ins Badezimmer gesperrt und sie gaben mir Deckbett und Kissen, damit ich in der Badewanne schlafen konnte.

 

An den Wochenenden blieb ich meist nicht in Basel, sondern fuhr nach Hause oder in die Berge und dann ab 1951 immer häufiger zu Mimi. Dann waren die Saufbrüder  ungestört, bis Ruedi allmählich häuslicher wurde und seine Wochenenden mit seiner Freundin Alice verbrachte. Wenn sie Dienst hatte im Frauenspital, wenn sie frei war, in unserer Wohnung, die von Alice dann immer auf Hochglanz poliert wurde.

 

Natürlich habe ich hauptberuflich studiert, habe  vom Winter Semester l948/49 bis zum Sommer Semester 1952 Vorlesungen und Seminare besucht, viele Bücher gelesen, dann Akten des Jugendamtes  zu einer Dissertation über „Die Ursachen der Jugendkriminalität“ verarbeitet und zum Schluss einen Doktorhut bekommen.

 

Das ist die spontane, unvollständige Auslese aus der Basler Zeit, die viel lebendiger und abenteuerlicher war, als die früheren Lebensjahre. Ich habe die Stadt sehr gern bekommen, habe hier gelernt Sprüche zu machen, ironisch und direkter im Umgang zu sein, bin von einem bürgerlichen Liberalen zu einem sozialistischen Linken geworden. Wobei ich mich keiner Partei anschloss, obwohl ich als Student bei einigen hospitiert hatte. Die PdA war mir zu totalitär, zu dogmatisch undifferenziert. Die FDP zu vage, zu kapitalistisch, den Schwächeren gegenüber zu verständnislos, zu überheblich. Die SP gefiel und gefällt mir der Ideologie nach am besten, aber auch diese Partei schien mir ein Selbstbestätigungsclub mit wenig  freiem Meinungsaustausch zu sein. Ich machte auch bei keinem Verein aktiv mit, fühlte mich nirgends wohl. Dass ich bei keiner politischen Partei aktiv mitmachte, gibt mir  immer wieder ein ungutes Gefühl, weil es bequem ist, ohne sich zu exponieren und konkrete politische Verantwortung zu übernehmen, nur im privaten Rahmen mitzudenken und die exponierten Akteure zu kritisieren.

 

 

Mimi

 

In Basel habe ich auch Annemarie Clémann alias Mimi kennen gelernt. Als erster erzählte mir Max von ihr, von einer faszinierenden Chinesin, mit der er Skat spiele.  Skat sei eine Art Jass, erfuhr ich auf mein Fragen, und die Chinesin studiere mit Max in Zürich Medizin. Auch Lochi, mein Klassenkamerad und Berglehrmeister studierte in Zürich Medizin. Durch ihn habe ich Edi kennen gelernt, auch Medizinstudent, irgendwie befreundet mit der Chinesin. Ich wohnte bei Löws am Karpfenweg in Basel, sass  in meinem Zimmer  und schrieb an der einzigen schriftlichen Arbeit, die ich ausser  der Dissertation je an einer Uni verfasste habe. Es ging um das Triebverbrechen und war für Prof. Meng.  Er dozierte freudianische Psychologie, die mir faszinierend, aber spekulativ übertrieben erschien. Heute ist es mir schleierhaft, warum ich gerade bei ihm, und zudem noch über das Triebverbrechen, eine Arbeit schrieb. Damals spürte ich persönlich den Triebzwang zwar sehr heftig und immer wieder. Mich allein im Bett zu beruhigen genügte nicht, ich war dauernd auf der Suche nach einer  Gefährtin für den Trieb. Natürlich fand ich keine, getraute mich auch nicht meine Wünsche zu offenbaren und an ein Verbrechen dachte ich schon gar nicht. Aber ich schrieb und fasste wenigstens das zusammen, was ein Fachexperte darüber geschrieben hatte, um im Seminar darüber referieren zu können.

 

Es muss gegen Mittag am Auffahrtstag l950 gewesen sein, als ein Auto vor dem Haus anhielt und hupte. Lochi, Edi und zwei Mädchen stiegen aus und ich begrüsste sie am Fenster. Sie hätten im Raimeux bei Moutier klettern wollen, aber es hätte geregnet und da seien sie auf die Idee gekommen, mich in Basel zu besuchen. Natürlich hatte ich nichts zum Offerieren, aber Frau Löw, die mich liebevoll wie einen Sohn betreute, lud den Besuch in ihre gute Stube ein und schliesslich gesellte sich auch ihr Mann Fritz zu uns. Es gab viel zu erzählen, bis wir, bewundert von der Nachbarschaft, anfingen, das Löwsche Haus zu beklettern. Das Abseilen vom Dach war der Höhepunkt. Dann gab’s noch eine längere Plauderei in meinem Zimmer. Mimi sass auf dem Heizkörper vor dem Fenster und gefiel mir sehr.

 

Von da an trieb es mich ständig nach Zürich, wo ich bei Edis Familie  ein willkommener Gast wurde und übernachten konnte. So kam ich immer wieder mit Mimi zusammen und erfuhr allmählich, dass sie in Peking als Französin die deutsche Schule besucht und dort das Abitur gemacht habe. Dann hätte sie dort angefangen, Medizin zu studieren. Sie sei  die mittlere Tochter eines elsässischen Uhrmachers und einer Halbchinesin, die als Pianistin ausgebildet war. Nach dem Einmarsch der Kommunisten in Peking hätten  sie als Ausländer in China keine Zukunft gehabt, deswegen sei sie nach dem ersten Prope nach Zürich gekommen, um weiter Medizin zu studieren. Dabei hätte sie Edi und Max kennen gelernt, die an der gleichen Leiche seziert hätten. Meimei, auf Chinesisch jüngere Schwester, sei zu Mimi geworden. Der Name gefiel mir zwar nicht, sie als Mensch dagegen sehr und immer besser. Und als Edi für ein Semester nach Turku fuhr, um dort zu studieren, wurde ich sein Stellvertreter für sportliche Unternehmen, Kinobesuche und Ausfahrten mit dem Töff. Ich konnte Mimi die Schweiz zeigen, wir verstanden uns immer besser.  Dass ich mich in sie verliebt hatte, realisierte ich  vom ersten Tag an. Als sie am Auffahrtstag so auf der Heizung sass, war mir der Gedanke, die will ich heiraten, durch den Kopf gefahren.

 

In Basel hatte ich vor Mimi mit zwei netten Freundinnen Kontakt, mit einer konnte ich Zärtlichkeiten austauschen. Das konnte und wollte ich aber nicht mehr, obwohl ich mit Mimi noch weit davon entfernt war. Wir lernten uns als Kameraden so gut kennen und so sehr schätzen, dass wir in den Osterferien mit meinem Töff  für 14 Tage  an die Côte d’Azur fuhren. Wir hatten wenig Geld und eine schlechte Ausrüstung. Die Nächte waren kalt und die Tage zum Teil auch. Als Kälteschutz legten wir Tag und Nacht Zeitungen unter die Pullover, in die Hose und auf den Zeltboden. Tagsüber bekam Mimi meinen Regenmantel, nachts den Schlafsack und ich den Regenmantel. Um uns warm zu geben, schliefen wir Rücken an Rücken. Nachts lagen wir hart und froren, innerlich kamen wir uns trotzdem – vielleicht gerade weil wir körperlich Distanz hielten - immer näher. Hart und kalt, aber eine wundervolle Reise!  Mimi musste das Geld, welches sie für den Fall, dass ich zudringlich werden würde, für eine Heimfahrt mit dem Zug reserviert hatte, nicht ausgeben. Oft litt ich an starken Schmerzen am Nacken und den Schultern, dann legte mir Mimi die Hände auf und ein wunderbares Gefühl strömte mir durch Mark und Bein, tief in die Seele hinein. In einem meiner Tagebücher habe ich folgende Eintragung aus jener Zeit gefunden:

„Jetzt weiss ich es, Mimi, du bist die, die ich so lange gesucht habe. Das liebste, süsseste, verständnisvollste, intelligenteste Mädel, das ich bis jetzt getroffen habe, dazu noch hübsch, aber nicht auf Äusserlichkeiten angewiesen. Ein wundervoller Mensch von einer Ehrlichkeit, Selbstkritik, Unvoreingenommenheit und bezauberndem Charme, wie ich es noch nie getroffen habe. Alles was ich bis jetzt von Liebe wusste, war nur ein Ahnen, verglichen mit dem, was ich jetzt weiss, denn erst jetzt liebe ich richtig. Ich fühle das ganz sicher, wie Dich habe ich noch keinen Menschen geliebt. Wenn ich Dich nicht heiraten kann, werde ich nicht Selbstmord machen, aber jahrelang todunglücklich sein und wahrscheinlich nie heiraten. Ich liebe Dich, Mimi und weiss, Du liebst auch mich. Ich werde alles tun, um das Leben mit Dir verbringen zu können. Hoffentlich bin ich Deiner würdig, werde mich in Zukunft in jeder Beziehung anstrengen!“

 

Dann war Edis Finnlandsemester zu Ende. Er hatte viel zu erzählen und ich wurde immer kleiner und eifersüchtiger. Nach kurzer Zeit beschloss ich, ganz offen um Mimi zu werben, sie von Edi wegzubringen. Wenige Wochen nach Edis Rückkehr wurde aus der Kameradschaft mit Mimi eine Freundschaft. Wir hatten uns kennen gelernt und vertrauten einander, so dass körperliche Zärtlichkeiten, wie ich sie noch nie mit einer Frau erlebt hatte, uns bald als enges Liebespaar glücklich machten. Das Schicksal meinte es gut mit uns! Frau Merz, bei der Mimi ein Zimmer hatte, zog ins Welschland  und Mimi konnte  ihre Wohnung übernehmen.  Wir waren aber nicht lange allein, denn Mimis Mutter war als Französin aus China ausgewiesen worden und kam mit der jüngern Schwester nach Zürich. Rosi, die ältere Schwester, hatte ihr Sprachstudium in Genf aufgegeben und arbeitete bei der Internationalen Flüchtlingsbehörde und finanzierte mit ihrem Lohn die ganze Familie. Die Mutter besorgte den Haushalt, Mimi studierte Medizin und Marthe  besuchte eine Handelsschule.

 

An den Wochenenden kam ich häufig von Basel oder Mimi und ich fuhren zu meinen Eltern nach Kriens. Meine Mutter akzeptierte sie sofort als meine Zukünftige, der Vater hätte lieber keine Ausländerin gehabt, „da weiss man nie, was man sich auflädt, mit der ganzen Verwandtschaft“. Er war aber von Mimis Intelligenz und von ihrer Gewandtheit bald beeindruckt. Ich hätte aber auch warten können mit der Liebelei, bis das Studium beendet wäre, kritisierte er. Wir erklärten ihm, dass wir mit dem ersten Lohn, den eines von uns verdienen könne, heiraten würden. Aber das war auch wieder nicht recht.

 

Beide, Mimi und ich, hatten noch keine sexuelle Beziehung gehabt und Mimi wollte erst nach der Heirat richtig sexuell mit mir verkehren, was mir auch recht war, denn wir hatten gute Wege gefunden, einander glücklich zu machen. Meine Eltern unterstützten mich weiterhin, gaben mir das Geld fürs Studium, nur die Kosten für meinen BSA musste ich mit Zeitungen vertragen dazu verdienen. Mimi erhielt ihr Geld von Rosi, auch als die Mutter mit Marthe l952 zu ihr nach Genf gezogen waren, konnte sie ihr Studium fortsetzen. Durch die Clemanns wurde ich mit der mir bis dahin völlig fremden chinesischen Kultur vertrauter.

 

Als wir anfingen, uns für die im Herbst 1952 vorgesehenen Schlussexamen vorzubereiten, verbrachten wir mit Kollegen vier Wochen im März auf der Engstligenalp, wo wir neben dem Lernen täglich etwa zwei Stunden Ski fuhren. Mimi war mutig und geschickt, lernte bald über ein Schänzchen zu springen und im Neuschnee Stemmbögen zu fahren. Als Abschluss stiegen wir, auf ihren Wunsch hin, mit Fellen auf den Wildstrubel. Die etwa achtstündige Skitour war der Anfang von vielen Bergwanderungen, Skitouren und Klettereien. In Mimi habe ich nicht nur eine mutige, ausdauernde und naturliebende Freundin und dann Lebensgefährtin gefunden, sondern auch eine mutige und unkomplizierte Sport- und Reisekameradin.

 

 

 

 

 

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