Hans Näf  Leben und Wirken

 

 

 

 

   Zum Schreibprozess

 

   Die ersten 7 Jahre

   in der "Heimat" in

   Wolhusen

 

   In der Klosterschule

   Engelberg

   1. bis 8. Klasse

 

   Kriens Alpenstrasse

   ab Ostern 1931

 

   1948 - 52 Studium

   an der Universität

   Basel und die

   grosse Liebe

 

   1946/47 zwei

   Semester in Paris

 

   Militär

 

   1945/46

   Familienleben

 

   1945/46 Studium

   an der Universität

   Zürich

 

   Die Zeit nach 1959

 

   Schulpsychologe in

   Basel 1959 - 73

 

  Meine eigene

  Familie in Meggen

 

   Meine Zeit als

   Sekundarlehrer

 

   Bergsteigen und

   Skifahren

 

   Erlebte

   Schulgeschichte

Militär

 

Rekrut 1944

 

Erst die eigene Rekrutenschule zerstörte meine Illusionen, und zwar so gründlich, dass ich auf keinen Fall mehr als den obligatorischen Dienst leisten wollte. Ich hatte die Art und Weise, wie wir als Rekruten herumgejagt, angebrüllt, als Idioten behandelt und schikaniert worden waren, entwürdigend gefunden. Körperliche Anstrengungen und Entbehrungen dagegen waren für mich keine Probleme, im Gegenteil, diese Seite des Militärs genoss ich, ebenso das Zusammenleben mit Kameraden aus verschiedenen Kantonen, mir fremden Berufen und Milieus, ganz anderen Bildungswegen, Lebenserfahrungen und Einstellungen. Die selbstverständliche Kameradschaft bei allen Unterschieden im Charakterlichen und Weltanschaulichen fand ich spannend und herausfordernd. Gehorchen und mich einordnen fiel mir meistens leicht, auch dann, wenn ich eigentlich hätte protestieren sollen. Das kam mir selten in den Sinn und wenn, getraute ich mich nicht, das wäre ja Dienstverweigerung gewesen.

 

Die Rekrutenschule war aber eine riesige Enttäuschung. Wir wurden respektlos mit Druck, Drohungen und Angstmacherei dressiert und nicht als ernst zu nehmende Menschen zu Soldaten erzogen. Da ich ein tüchtiger Rekrut und zudem ein Student war, wurde ich am Ende der Rekrutenschule verpflichtet, mich zum Unteroffizier ausbilden zu lassen.

 

Die Einordnung in den militärischen Betrieb, das enge Zusammenleben mit Kameraden, Disziplin und körperliche Anstrengungen fielen mir leicht. Dass ich völlig unsinnige Befehle, wie z.B. das Polieren der Schuhnägel, ausführen musste, dauernd angeschrien wurde und selber immer laut brüllen musste, dass ungeschickte Kameraden schikaniert wurden und Ähnliches mehr, desorientierte und deprimierte mich sehr. Ich war voller Idealismus eingerückt, wollte mein Bestes geben, ein guter Soldat werden, um mich bald in die Reihe der Vaterlandsverteidiger einordnen zu können. Und nun das: unsinnige Zeitverschwendung, Schikane, Entwürdigung und  Entmündigung. Ich hätte mich oft gern gewehrt, getraute mich aber nie, sondern schrie, wie alle: „Zu Befehl Korporal, Leutnant, Oberleutnant, Major…!“.

 

Heute, im Rückblick, erscheint mir alles noch grotesker und unglaublicher als damals. 1944 in der Rekrutenschule war ich einer von vielen, wir alle mussten durchs gleiche Loch. Wir fluchten und lachten gemeinsam und gewöhnten uns allmählich an den Unsinn, genossen die Pausen, die Natur, hielten uns schadlos, wo und wie wir konnten. Es wurde allmählich selbstverständlich, dass man gehorchen und jeden Scheiss mitmachen musste. Ich hatte ja nicht umsonst gehorchen gelernt. Es gab auch schöne Momente: in einer Vollmondnacht Wache stehen und vom Pilatus aus den Vierwaldstädter See und die Berge bestaunen, den Korporal in einem nächtlichen Gespräch als Mensch kennen lernen, als Grafiker aus Zürich, dem dieser Militärbetrieb ebenso unsinnig erschien wie mir. Nach 17 Wochen legte mir der Kompanie-Instruktor einen griechischen Vers vor, den ich aber nicht übersetzen konnte, sodass er ihn mir erklären musste. „Keiner ist ein Mann, der nicht geschunden wurde.“ Damit war ich für die Unteroffiziersausbildung vorgesehen.

 

 

Unteroffizier

 

Im Juni l945 bestand ich die Maturitäts-Prüfung in Engelberg und am 18.6.1945 rückte ich in die Kaserne Luzern ein, um innert 4 Wochen zum Korporal ausgebildet zu werden. Unmittelbar daran hatte ich im Rahmen der Gebirgs-Infanterie Rekruten–Schule innert 17 Wochen eine Gruppe von 10 Rekruten zu Soldaten auszubilden.

 

Die Unteroffiziersschule wurde ein ganz tolles soziales Erlebnis, weil ich zwei Kameraden kennen lernte, die die „gleiche Wellenlänge“ hatten wie ich. Mit Allan Guggenbühl von der Schweizer Spiegel-Familie und Felix Däniker, einem diskutierfreudigen Zürcher, lernte ich zwei liberale, selbstständig denkende Kameraden kennen, die reifer waren als ich. Durch sie wurde ich zu gesellschaftskritischem und politischem Denken angeregt. Ausserdem wurden wir von den Vorgesetzten respektvoller als in der RS behandelt und hatten uns als Ausbildner und Menschenführer zu bewähren. Den militärischen Alltag bewältigten wir mit einer skeptischen, sportlichen, aber doch kooperativen Grundeinstellung. Wir genossen den Outdoor-Betrieb, analysierten die ideologischen und psychologischen Seiten des Militärbetriebes und benutzten die 21 Wochen, um uns über unser bisheriges und künftiges Leben auszutauschen. Mitten im militärischen Stumpfsinn genossen wir eine geistig sehr lebendige Zeit. Alles was uns begegnete und uns bewegte, wurde diskutiert, natürlich vor allem unsere Führungsprobleme als Korporäle. Bis zu dieser Zeit hatte ich, als Schüler und Soldat, am untersten Ende der Rangordnungen gelebt, dort wo bekanntlich die Hunde beissen. Jetzt bestand meine Aufgabe darin, das was von oben kam, auszuführen und notfalls durchzusetzen. Das war für mich eine völlig neue Situation, oft ein Dilemma, weil ich vieles, was ich befehlen musste, als Unsinn empfand. Aber nicht nur das, sondern auch die Art und Weise, wie ich als Korporal mit meinen Rekruten umzugehen hatte, wurde mir befohlen, und das war oft nicht nach meinem Geschmack, denn ich wollte nicht ein bissiger Hund sein. Diese 21 Wochen waren eine fruchtbare Zeit für meine persönliche Entwicklung. Ich musste mich mit einer neuen sozialen Rolle, neuen religiösen Einstellungen auseinandersetzen, persönliche Positionen finden und mich getrauen, diese auch zu vertreten.

 

Bis anhin war mein geistiger Horizont von den Klostermauern und den Bergen eingeengt gewesen. Jetzt kamen entscheidende Herausforderungen für meine Entwicklung. Mein zaghafter Entscheid, zum Studium nicht ins katholische Freiburg, sondern ins reformierte Zürich zu ziehen, schien mir – und übrigens auch meinem Vater als Luzerner Liberalen – das einzig Richtige zu sein. Es täte mir gut, vom Kloster etwas Distanz zu bekommen, meinte er.

 

Nach Beendigung der Rekrutenschule wurde ich zur Offiziersausbildung vorgeschlagen und verweigerte auch diesen Dienst nicht, obwohl dies nach Gesetz möglich gewesen wäre. Inzwischen war der Krieg zu Ende, und in der Schweiz waren wir froh, heil davongekommen zu sein und glaubten auch, dass wir das unserer Verteidigungsbereitschaft zu verdanken hätten. Dass wir weiterhin eine starke Armee bräuchten, schien mir klar und absolut notwendig. Aus dieser Überzeugung heraus, und weil ich mir einbildete, als Offizier das menschliche Klima in der Armee positiv beeinflussen zu können, war ich bereit, weitere 30 Wochen Militärdienst zu leisten. Seit ich Unteroffizier war, sah auch der Vater die Sache mit dem Militär von einer anderen Seite. Er fand, Leute wie ich sollten Offiziere werden und das Kommandieren nicht den Ehrgeizlingen und Menschenschindern überlassen. Da auch die Mutter und die Schwester ins gleiche Horn bliesen und ich im Militär an allem Sportlichen Spass hatte, leistete ich wenig Widerstand. Irgendwie war ich natürlich auch stolz, und ausserdem hatte ich das Militärklima nicht mehr so menschenverachtend erlebt wie als Rekrut.

 

 

Offizieraspirant

 

Am 4.3.1946 musste ich in die Offiziersschule der Infanterie in die Kaserne Zürich einrücken. Davor hatte ich natürlich etwas Angst, aber es war eine Erlösung nach dem Unbehagen des Studentendaseins. Dieses war nicht nur von Angst, sondern auch von Ratlosigkeit in Bezug auf die Arbeit gekennzeichnet gewesen. Was muss ich lernen, wo anfangen bei den vielen Büchern in den verschiedenen Seminarräumen? Es gab da zwar Assistenten, an die man sich wenden konnte. Aber ich schaffte es im ersten Semester nicht, mich an einen zu wenden, da ich Angst hatte blöd dazustehen. Ich glaube es selbst kaum mehr, weiss aber bestimmt, dass das Aufgebot in die OS eine Erlösung war. Das militärische Milieu war mir vertraut, auch seine Umgangsformen und Tätigkeiten. Dazu fand ich im Militär ähnliche Strukturen wie im Internat, wo ich durch klare Regeln und Aufgaben geführt worden war und so Pflichtbewusstsein und Gehorsam gelernt hatte. Auch in der Schule waren die Lernstoffe und der ganze Tagesablauf vorgegeben gewesen. Allein leben und selbständig entscheiden hatte ich in den ersten 20 Lebensjahren nur in geringem Mass gelernt. Heute erscheinen mir die Schwierigkeiten, unter denen ich im ersten Semester gelitten hatte, als Folgen der extrem bevormundenden Internatserziehung. Damals empfand ich meine ängstliche Unselbständigkeit nur als persönliches Versagen und schämte mich entsprechend. Im Militär musste ich wenig neue Situationen selbständig bewältigen, kaum eigene Entscheide treffen. Es wurde mir befohlen, oder es stand auf dem Tagesbefehl, oder ich konnte schauen, was die Kameraden machten und es ihnen nachtun.

 

Schon die Bahnfahrt von Luzern nach Zürich fing gut an, denn ich musste nicht allein dem neuen Abenteuer entgegenfahren. Mit Bruno, Werner und Martin zusammen in einem Haufen Unbekannter stehen, war viel angenehmer als allein. Man kommt sich weniger verloren vor. Wir freuten uns, als wir in die Klasse von Hauptmann Wille, einem Enkel des Generals, eingeteilt wurden. Dass wir für höhere militärische Weihen vorgesehen waren, wurde vom ersten Tag der OS an spürbar. Hier wurde weniger gebrüllt, einer der ersten Unterrichtsinhalte galt den Tischmanieren, die standesgemäss sein mussten. Wir lernten reiten, fassten Stiefel und Reithose, Dolch und Pistole. Wenn wir im Laufschritt mitten durch Zürich zum Schiessen beim Albisgüetli rannten, riefen uns Leute zu:“ De Chrieg esch vorbie, mönd nömme prässiere“.

 

Werner belegte das Bett neben mir, und daraus entwickelte sich eine Freundschaft, die dazu führte, dass wir im nächsten Semester gemeinsam  zum Studium nach Paris zogen. Viele Jahre verband uns eine Freundschaft, in die auch unsere Frauen und Kinder eingebunden waren. Werner wurde Leiter des Institutes für Berufschullehrer/Ausbildung und engagierte mich, Jahre später, für einen psychologischen Lehrauftrag. Bei dieser Gelegenheit realisierten wir, dass unsere Wertvorstellungen sich sehr verschieden entwickelt hatten. Er war Oberst geworden, ich Oberleutnant geblieben. Er betonte die Autorität und ich die kollegiale Kooperation als Führungskonzepte, was sich in unseren militärischen und zivilen Lebensläufen manifestierte. Sogar geografisch ist unser Auseinanderdriften sichtbar. Werner zog von Luzern nach Bern und ich nach Basel.

 

Wenn ich heute zurückdenke, verspüre ich keine grosse Lust, weitere Details zu berichten, ausser dass wir mit Wille militärische Saufereien mit Singen, Grölen und Zoten feierten, feiern mussten. Ich war nicht allein mit zwiespältigen Gefühlen diesem Treiben gegenüber. Schon in der Klosterschule hatte ich die Biergelage der Studentenverbindung läppisch gefunden. Dass Kameraden, die ich sonst schätzte, diese primitiven Männerrituale freudvoll mitmachen konnten, habe ich nie verstanden. Anders war es, wenn Feste spontan zu Exzessen führten. Solche  Explosionen von Lebensfreude konnte ich sehr geniessen, und sie kamen auch im Militär vor.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rekrutenkompanie in Luzern mit Hans im Vordergrund beim Abverdienen als Zugführer.

Hier herrschte wenig "Pläuderliton".

 

Da Kommandanten, denen ich im Verlauf der Jahre unterstellt war, sich daran störten, dass ich zu wenig militärisch auftrat, zu wenig Distanz habe zur Mannschaft und statt zu befehlen einen „Pläuderliton“ habe, suchte ich eine militärische Nische, wo kameradschaftlicher Umgang geschätzt wurde. Ich fand eine wunderbare, wurde militärischer Bergführer und absolvierte die meisten Dienste in Gebirgskursen.

Weiteres in "Sport und Spiel"

 

1955 liess ich mich sogar freiwillig von der Schweizer Armee für ein halbes Jahr zur Überwachung des Waffenstillstandes nach Korea schicken. Im Rahmen des Neutral Nations Supervisory Commitee leistete ich in Nord- und Südkorea Blauhelmdienste.

Zum Bericht über meine ersten Eindrücke in Korea

 

Nach der OS verbrachte ich den Sommer in Genf, um Französisch zu lernen. Ich besuchte an der Uni einen Kurs, in dem auch hübsche Schwedinnen waren, denen ich mich aber nicht zu nähern getraute, was mich oft bedrückte. Ich war scheu, voller Minderwertigkeitsgefühle und konnte mir nicht vorstellen, dass eine dieser Studentinnen an mir Interesse haben könnte. Wie in Zürich fand ich auch in Genf einen ähnlich gehemmten Kollegen, mit dem ich die Freizeit verbringen konnte. Zwischenhinein radelte ich ins Wallis und machte mit Lochi tolle Bergtouren. Beim Klettern verspürte ich zwar auch Angst, aber immer nur vor der Tour. Beim Klettern selber war ich mutig, konnte zupacken und fand immer wieder, dass ich mich unter- und die Schwierigkeiten überschätzt hatte.

 

 

 

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